Schweiz am Sonntag

| 31.03.13 | Von Sacha Ercolani und Patrik Müller

«Was ich fühle, ist eher Druck als Macht»

Er ist der oberste Chef über «Blick», «Schweizer Illustrierte» und «Glückspost». Ringier-CEO Marc Walder über das helvetische Star-Business, die Vermischung von Journalismus und PR – und über Christoph Blocher.


«In meinem Büro hängt der allererste "Blick" aus dem Jahr 1959, und da steht unter dem Logo "Die unabhängige Zeitung der Schweiz"»
Marc Walder, CEO Ringier AG

Herr Walder, was bedeutet Ihnen Macht?

Marc Walder: Es wäre unehrlich zu sagen, Macht sei mir nicht wichtig, nur weil es dann bescheidener und zurückhaltender tönen würde. Wer, um beruflich weiterzukommen, so viel Zeit und Energie in sein berufliches Leben investiert hat wie ich, der hat definitiv auch das Interesse daran, dass seine Ideen umgesetzt werden.

Geniessen Sie diese Macht?

Was ich fühle, ist eher Druck als Macht…

Druck im Sinne von Belastung?

Ringier ist ein sehr komplexes Unternehmen. Wir sind in 16 Ländern tätig und haben verschiedenste Geschäftsmodelle: Zeitungen, Zeitschriften, Druckereien, Entertainment-Unternehmen, die Konzerte veranstalten, Radio machen, Sport vermarkten oder Ticketing vollziehen. Dann wiederum sind wir im E-Commerce oder im digitalen Classified-Geschäft tätig. In den letzten fünf Jahren haben wir rund 1,2 Milliarden Franken in die Transformation unseres Unternehmens investiert. Der Druck – physisch und psychisch – ist spürbar.

Unsere Jury sieht Sie als den einflussreichsten Mann im Schweizer Showbiz. Sie selber erleben Ihren Job aber nicht als Machtposition?

Mein Alltag fühlt sich nicht so an. Aber es ehrt mich natürlich, dass die Jury dies so entschieden hat. In meiner Zeit als Tennisprofi war ich während vieler Jahre immer im hinteren Teil der ATP-Rangliste anzutreffen – nun einmal ganz vorne zu sein, ist ein völlig neues Gefühl (lacht).

Als oberster Herr über «Blick», «Schweizer Illustrierte» und «Glückspost» haben Sie Einfluss darauf, wen die Öffentlichkeit kennt und wer als Star oder als Versager gilt. Wie wählen Sie diese Leute aus?

Ich wähle niemanden aus! Aber viel wichtiger: Stars kann man nicht einfach so «machen». Stars machen sich selbst! Der grösste Schweizer Star ist ohne Zweifel Roger Federer. Die Gründe dafür sind jene, die für alle anderen auch gelten, egal ob Sport, Entertainment, Wirtschaft, Kunst oder was auch immer das Genre sein mag: Leistung, Leistung, Leistung. Roger ist darüber hinaus auch noch integer, sympathisch und bescheiden. Die wirklich grossen Stars machen nicht auf dämlich-dümmlich-peinlichesSchickimicki-Gehabe, sondern sind enorm leistungsorientiert, zuverlässig – und oft auch bescheiden in ihrer Persönlichkeitsstruktur. Dies sind die Menschen, die mir imponieren.

Welche Stars ziehen auf dem Cover der «Schweizer Illustrierten» am Kiosk am besten?

Im Jahr 2012 verkaufte sich die SI mit Roger Federer auf dem Titel am besten. Dies nach seinem historischen Wimbledon-Sieg. Mirka Federer mit den beiden herzigen Zwillingen verkaufte sich ebenfalls gut. Aber leider auch ein trauriges Ereignis: der Tod von Kurt Felix.

Roger Federer und Kurt Felix – das sind zwei Persönlichkeiten. Die SI erscheint aber 52-mal. Also braucht es auch reihenweise Cervelat-Promis auf der Front. Die können Sie durchaus «machen».

Ich habe sieben Jahre die SI als Chefredaktor geführt und weiss, wie hart der Kampf um gute Geschichten von wirklich spannenden Menschen ist. Das ist in den letzten Jahren eher noch schwieriger geworden. Früher gab es erstens weniger Medien, die im People-Geschäft tätig waren – und zweitens mehr wirkliche Identifikationsfiguren wie beispielsweise Bernhard Russi, Vreni Schneider, Pirmin Zurbriggen, Maria Walliser, Nicolas Hayek, Dr. Beat Richner und andere mehr. Sie waren alle nationale Idole. Heute haben wohl nur noch Roger Federer oder vielleicht einmal ein Dario Cologna diese Zugkraft.

Gehen uns die echten Stars aus?

Alles ist komplexer und vor allem internationaler geworden. Die Schweiz hat immer wieder internationale Leucht figuren hervorgebracht, in vielen Bereichen. Das dürfte so bleiben, wenn auch seltener werden. DJ Bobo beispielsweise hatte im Ausland riesigen Erfolg gehabt und wurde hierzulande stets eher gering geschätzt. In der Architektur haben wir Herzog & de Meuron oder einen Zumthor, in der Kunst unter vielen anderen Fischli/Weiss, in der Politik … (denkt nach): Da hatte Ogi eine internationale Ausstrahlung. Und in der Wirtschaft ist Nick Hayek jun. gerade daran, in die grossen Fussstapfen seines Vaters zu treten.

Können Stars, die Sie persönlich gut kennen, damit rechnen, dass Sie von den Ringier-Medien pfleglich behandelt werden?

Als CEO eines Medienunternehmens hat man das Privileg, viele spannenden Menschen kennen zu lernen, und da ergeben sich in der Tat auch Kollegialitäten oder gar Freundschaften. Aber es ist nie Teil der Freundschaft, kritische Geschichten zu verhindern. Ich mische mich nur dann ein, wenn ich das Gefühl habe, es laufe etwas nun wirklich falsch. Dies gilt genauso für Michael Ringier.

Bestimmt wenden sich Ihre Freunde an Sie, wenn Sie ein Problem haben.

Das liegt in der Natur der Sache. Bernhard Russi beispielsweise rief mich an, als er und seine Ehefrau Mari sich vor rund drei Jahren trennten. Er fragte: «Marc, irgendwann müssen wir das der Öffentlichkeit mitteilen. Wie machen wir das am besten?» Die Trennung war dann die Titelgeschichte im «SonntagsBlick». Korrekt, unaufgeregt. Damit war das Thema gegessen.

Russi ist in Ihren Medien seit vierzig Jahren ein Star. Was macht ihn speziell?

Er ist ein absolut aussergewöhnlicher Mensch. Bernhard Russi war vor Jahrzehnten aktiver Sportler und noch heute geniesst er eine geradezu einzigartige Vorbildfunktion. Nichts verdeutlicht diese Tatsache besser, als dass Russi seit 34 Jahren treuer Botschafter von Subaru ist – ohne Vertrag, einfach per Handschlag. Und dies in einer Zeit, in der sich jeder Manager eines Sternleins jährlich darum bemüht, von Automarke A zu Automarke B zu wechseln, weil es dort noch zehn Franken mehr zu holen geben könnte. Roger Federer wird, wie Russi, weit über seine Karriere hinaus eine solch grosse Integrationsfigur bleiben. Sonst würde ich eine solche Prognose nicht für viele Stars wagen.

Ringier hat eine eigene Firma, die Stars vermarktet. Wegen der Vermischung von Journalismus und PR wird vor allem der «Blick» dauernd kritisiert. Verdienen Sie mit den Promis so viel Geld, dass sich all der Ärger lohnt?

Die öffentliche Debatte über diese angebliche Vermischung steht in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Bedeutung dieser kleinen Firma Pool Position. Das ging so weit, dass man uns diesen Vorwurf selbst bei Prominenten machte, die wir gar nicht betreuen – etwa bei der Trennung von Florian Ast und Francine Jordi.

Warum hören Sie nicht wieder auf mit diesem Geschäft?

Als Ausdauersportler setze ich darauf, dass die anderen Medien irgendwann müde sind, immer das Gleiche zu schreiben und quasi ermattet aufgeben (schmunzelt). Im Ernst: Es gibt kein einziges Beispiel, bei dem man dokumentieren könnte, dass die journalistische Unabhängigkeit verletzt worden wäre. Stars und Entertainment – das passt zur DNA von Ringier und ist ein Wachstumsfeld.

Aber wenn Gölä, den Sie promoten, zuerst seine Trennung und dann die Hochzeit mit seiner neuen Frau im «Blick» ausbreiten muss, hat das einen schalen Nachgeschmack.

Es war immer so, dass die bekannten Persönlichkeiten an den «Blick» oder die «Schweizer Illustrierte» oder den «SonntagsBlick» gedacht haben, wenn sie etwas Neues zu vermelden hatten…

… ok, aber früher, als Ringier die Stars nicht gleich auch vermarktete, fehlte das «Gschmäckle».

Wir haben klare Spielregeln, einen Code of Conduct, um zu vermeiden, dass wir uns unkorrekt verhalten. Und wir stehen ja hier unter enormer medialer Beobachtung. Früher hätten wir doch genauso über Gölä berichtet – einfach darum, weil er der vielleicht erfolgreichste Schweizer Musiker ist, dazu noch eine Saftwurzel und eine unangepasste, ehrliche Haut. Wir schreiben über Menschen, die interessieren. Heute erarbeiten wir aber eine höhere Wertschöpfung, indem beispielsweise Ticketcorner den Billettverkauf macht und wir – etwa im Sport – auch noch die Vermarktungsrechte besitzen.

Oft kostet doch die Strategie mehr, als sie bringt. Ottmar Hitzfeld hätte für den «Blick» auch dann eine Kolumne geschrieben, wenn man ihn nicht unter Vertrag genommen hätte zu einem Jahreslohn von 400 000 Franken.

Die Zahl kommentiere ich nicht. Die Sache an sich gerne: Die Kolumne ist nur ein sehr kleiner Teil unserer Koopera tion. Im Rahmen unserer Sportdiversifikation spielt Fussball eine zentrale Rolle. Da ist Hitzfeld für mich persönlich ein wichtiger Berater, und das wird er auch über seine Zeit als Nati-Trainer hinaus sein. Er spielte bereits eine ganz zentrale Rolle, als Ringier sich entschied, die Rechte für die Super League zu sichern. Ich diskutierte mit Ottmar Hitzfeld lange darüber, wie er die mittelfristige Perspektive des Schweizer Klubfussballs einschätzt. Sein positives Urteil war mitentscheidend dafür, dass wir uns dann für diese Investition entschieden haben.

Verleger Michael Ringier hat wiederholt gefordert, der «Blick» müsse politisch wieder relevanter werden. Da interessiert die Frage: Wie tickt eigentlich der CEO politisch?

In meinem Büro hängt der allererste «Blick» aus dem Jahr 1959, und da steht unter dem Logo «Die unabhängige Zeitung der Schweiz»…

Das Wort «unabhängig» fehlt heute.

Aber es gilt nach wie vor. Der «Blick» durchlief verschiedene Phasen: Vor gut 20 Jahren rutschte er nach rechts, vor rund zehn Jahren nach links. Wichtig ist, dass die Zeitungen von Fall zu Fall Position beziehen.

Das klingt nach Wischiwaschi.

Das Denken im starren Links-rechts-Schema dürfte etwas zu eng sein in der heutigen Welt. Was ich persönlich von dieser oder jener Vorlage halte, ist nicht so relevant. Ich war zum Beispiel gegen die Abzocker-Initiative; die ging mir zu weit. Davon haben Sie in unseren Publikationen aber nicht allzu viel gespürt. Die Journalisten schrieben, was sie für richtig hielten.

Als Sie eingangs über international bedeutende Schweizer gesprochen haben, nannten Sie den Namen Adolf Ogi. Den wichtigsten Politiker der letzten 20 Jahre haben Sie aber vergessen.

Wen meinen Sie?

Christoph Blocher.

Als Christoph Blocher Bundesrat wurde, fuhr ich nach Bern, um mit ihm ein Hintergrundgespräch zu führen – um das Verhältnis zwischen dem Haus Ringier und Blocher zu entkrampfen. Dies gelang meiner Meinung nach. SVP-Politiker sollen mit der gleichen Selbstverständlichkeit in unseren Medien stattfinden wie Politiker anderer Parteien.

Die SVP betont gebetsmühlenhaft, die Schweizer Medien seien linkslastig. Teilen Sie diese Ansicht?

In den vergangenen Jahren ist die Medienlandschaft politisch eher wieder breiter geworden. Dass die «Schweiz am Sonntag» zum Beispiel oder andere Titel links wären, hätte ich nicht festgestellt. Was ich eher feststelle, ist eine «Main streamisierung» der Medien bei einzelnen Themen. Journalisten sind manchmal wie Schafe, die alle in die gleiche Richtung rennen. Der Mainstream kann je nach Dossier oder Thema nach links oder nach rechts fliessen. Er kann dann aber auch wieder rechtsumkehrt oder linksumkehrt machen, wie man das in Deutschland wunderbar sieht bei der medialen Beurteilung von Altkanzler Gerhard Schröder: Er wurde wegen seiner Agenda medial beinahe verteufelt. Und heute? Er wird er für dieselbe Agenda als «Retter der deutschen Wirtschaft» verehrt. Dies bis hinein in die Herzkammer des Kapitalismus – dem «Wall Street Journal».

Glauben Sie, dass am Tag Ihrer Pensionierung der «Blick» und die «Schweizer Illustrierte» noch auf Papier erscheinen werden?

Das wäre also in 18 Jahren. (Denkt lange nach) Gehen wir mal 18 Jahre zurück und überlegen uns, wie die Welt damals ausgesehen hat. Geben wir uns der wohl korrekten These hin, die Entwicklung würde sich in Zukunft eher noch beschleunigen – dann würde ich sagen: Der «Blick» und viele andere Zeitungen überall auf der Welt werden eher nicht mehr in der Form erscheinen, wie wir sie heute kennen. Dass es die Marke «Blick» mit all ihrer Relevanz aber noch geben wird: Da bin ich mir sicher. Bei den Zeitschriften erwarte ich, dass man die auch in 18 Jahren noch gern auf Papier zur Hand nimmt.

Werden Sie bei Ringier pensioniert werden oder können Sie sich vorstellen, mal noch für einen anderen Verlag zu arbeiten?

In der Schweiz wohl kaum, das würde mir meine Loyalität zu diesem grossartigen Unternehmen und dieser wunderbaren Familie verbieten. Vielleicht einmal im Ausland. Aber vielleicht werde ich bei Ringier irgendwann einmal in der Zukunft wieder in anderer Funktion tätig sein.

Woran denken Sie?

Vielleicht an den Journalismus…

Sie möchten zurück auf einen Chefredaktoren-Sessel?

Nicht hierarchisches Denken hat meine Karriere geprägt. Sondern Tatendrang. Ein Team zu führen, das jeden Tag oder jede Woche etwas zustande bringt, worüber die Schweiz spricht – faszinierend.

Das klingt schon fast nach einer Bewerbung als «Blick»-Chefredaktor.

Wer weiss. Vor zwanzig Jahren begann meine berufliche Laufbahn beim «Blick». Vielleicht endet sie einst dort.

Sportler, journalist, CEO 
Marc Walder (47) war in jungen Jahren Tennis-Profi und bestritt zwischen 1984 und 1991 die Turniere der ATP-Tour. Nach seiner Sportkarriere absolvierte als 28-Jähriger die Ringier-Journalistenschule. Schnell stieg er auf. Er war unter anderem «Blick»-Sportchef, wurde später Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten» und des «SonntagsBlicks». 2008 wechselte er ins Management: Walder übernahm die operative Verantwortung von Ringier Schweiz und Deutschland. Im April 2012 wurde er CEO des Gesamtkonzerns mit weltweit über 7000 Mitarbeitern. Marc Walder wohnt in der Region Zürich, ist verheiratet mit Susanne Walder, Ex- Unterhaltungschefin der «Schweizer Illustrierten», und Vater zweier Töchter.