Neue Zürcher Zeitung

| 08.04.17 | Von Rainer Stadler

«Wir sind auf der Hut»

Die Mediengruppe Ringier will trotz Expansion in rentablere digitale Geschäfte am Journalismus festhalten. Warum, erklärt der CEO im Interview.

Marc Walder, Ringier hat sich in den vergangenen Jahren rasant wegbewegt vom Stammbereich, hin zu lukrativeren digitalen Geschäften. Dennoch will man an journalistischen Angeboten festhalten. Warum? Aus Nostalgie?

Wir haben immer noch 150 Publikationen in 19 Ländern. Wir tun dies nicht aus Nostalgie. Sondern mit der Überzeugung, dass Journalismus weiterhin ein Geschäftsmodell sein kann – auch wenn wir wissen, dass es zurzeit kein gesichertes Geschäftsmodell mehr ist. Wenn eine Publikation Verluste schreibt, kommt man jedoch nicht darum herum, sie zu verkaufen oder zu schliessen. Das jüngste Beispiel war leider «L’Hebdo».

Da unterscheiden Sie sich nicht von andern Verlagen: Journalismus muss rentieren. Aber wie stark muss er das?

Journalismus dürfte in gewissen Segmenten durchaus auch nur eine schwarze Null schreiben. In der jetzigen Phase der Transformation, des Wechsels von Papier zu Digital, haben viele Presseerzeugnisse – nicht nur bei uns – bereits eine eher tiefe Gewinnmarge . . .

. . . der «Blick» auch.

Ja, er hat bei weitem nicht mehr die hohe Gewinnmarge von früher, weil wir eben in einer Transformationsphase sind. Und diese verlangt nach Investitionen ins Digitale. Wir sind mit neuen Themenfeldern wie 360-Grad-Filmen, Datenanalyse, Social Media, digitaler Distribution und neuen Formen der Vermarktung konfrontiert. Das fordert eine Organisation enorm heraus. Dass wir in dieser Phase tiefere Margen haben, ist selbstredend.

Sie reden von Investitionen. Gleichzeitig sparen die Verlage massiv.

Punkto Effizienz sind wir mittlerweile ziemlich optimiert. Wenn man uns vor zehn Jahren gesagt hätte, wie viel Kosten wir reduzieren können – wie nun geschehen –, hätte das kaum jemand für möglich gehalten.

Das heisst auch, dass man hart an der Kante fährt. Das ist gefährlich, gerade in Bezug auf die einzelnen Publikationen.

Es besteht die Gefahr, dass die Medienindustrie einen Schritt zu weit geht und dann der Leser oder User nicht mehr die von ihm gewünschte Qualität erhält. Das ist ein gefährliches Spiel.

Durch die Digitalisierung sind die «Blick»-Angebote trashiger geworden. Tut das der Marke gut?

Das ist Ihr Eindruck. Dies entspricht genau nicht unserer Strategie. Unsere Reichweiten-Portale müssen logischerweise in die Breite wirken, aber: Sie sollen relevante und journalistisch gute Beiträge liefern. Trash gibt es genug im digitalen Meer da draussen, Relevanz ist gefragt, Einordnung, Erklärung – auch bei einem Reichweiten-Portal. Die «Blick»-Gruppe hat die Aufgabe, beispielsweise die Unternehmenssteuerreform so zu erklären, dass sich jeder ein gutes Bild davon machen kann.

Sie schreiben im neusten Geschäftsbericht, eine zu grosse Abhängigkeit vom Journalismus sei lebensgefährlich . . .

. . . das ist unsere tiefe Überzeugung. Bei der Familie Ringier wird in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren die sechste Generation das Ruder übernehmen. Meine Aufgabe ist es, das Unternehmen so aufzustellen, dass die nächste Generation ein rentables Unternehmen übernimmt. Wenn wir heute noch mehr als fünfzig Prozent Abhängigkeit vom Journalismus hätten, dann könnte ich nicht mehr ruhig schlafen. Dafür ist mir das Geschäftsmodell Journalismus schlicht zu unsicher.

Warum sagt sich Ringier nicht: Wir konzentrieren uns aufs hoch Rentable und beschränken uns darum aufs Anbieten von Online-Rubriken?

Wir haben diversifiziert und digitalisiert, um es auf einen Satz zu verkürzen. Die journalistischen Unternehmen – Zeitungen, Zeitschriften, digitale Portale – sind Teil dieses neuen Ökosystems der Ringier-Gruppe.

Wo sehen Sie neue Verdienstmöglichkeiten bei der Publizistik?

Der Leser- und Werbemarkt im Printbereich wird schrumpfen, das ist unvermeidlich. Gleichzeitig ziehen im Internet vor allem Google und Facebook Werbegelder an sich. Deshalb haben wir das Vermarktungs-Joint-Venture Admeira gegründet, mit der SRG und Swisscom. Eine Schweizer Lösung. Hoffen wir, dass guter Journalismus für Werbeauftraggeber auch in Zukunft ein gutes Umfeld bleiben wird. Und nicht nur amerikanische Plattformen mit Werbung Geld verdienen. Dass Leser für Journalismus auf digitalen Portalen Geld bezahlen – das wird wohl eine Nische bleiben.

Trash gibt es genug im digitalen Meer da draussen, Relevanz ist gefragt. 
Marc Walder

Also bleibt für die meisten nur Werbung als Einnahmequelle.

Genau. Werbung ist ein Daten-Game geworden. Das heisst, die digitalen Content-Anbieter sind massiv herausgefordert, weil sie dem Werbemarkt bessere Nutzerdaten liefern müssen. Google und Facebook haben solche, wie bereits gesagt. Und darum gehen in der Schweiz 65 Prozent und in den USA 90 Prozent der Werbetreibenden zu ihnen. Journalistische Angebote sind aber nach wie vor ein hervorragendes Umfeld für Werbung – wenn wir dazu qualitativ gute Konsumdaten liefern können.

Reicht das?

Ein Verlag kann heute dem Kunden nicht nur Werbeplätze anbieten, kreative Lösungen werden verlangt – egal, ob jemand einen neuen BMW, einen Schokoriegel, einen Ski-Pass oder ein Smartphone verkaufen will. Unsere Aufgabe ist es, beispielsweise mit «Blick», «Schweizer Illustrierte», «Bilanz» oder «Handelszeitung» kommerzielle Gesamtpakete zu entwickeln, damit der Kunde seine Kommunikationsbedürfnisse am besten zu erfüllen vermag. Darüber hinaus geht es ums pure, von Computern betriebene Datengeschäft. Das sind die beiden grossen Themenfelder, die uns herausfordern.

Der «Blick» baut den Videobereich stark aus. Zehn Prozent des redaktionellen Personals sind nun Videojournalisten. Doch damit kann man den Output von Fernsehsendern nicht konkurrenzieren.

Video ist eines unserer wichtigsten Themen. Video wächst und wächst. Die «Blick»-Gruppe verzeichnete im vergangenen Jahr 340 Millionen Video-Views, Tendenz weiterhin massiv steigend. Videos sind aus Sicht der User sehr attraktiv, aber auch aus Sicht des Werbemarkts. Also haben wir darauf reagiert und Video in den vorhin erwähnten Paketlösungen berücksichtigt. Am liebsten hat der Kunde ein Video, das sich auch viral stark verbreitet. Ich meine nicht klassische Video-Werbung.

Sondern?

Es geht um originelle, mutige, emotionale Videos, die auch auf intelligente Weise eine Werbebotschaft transportieren.

Eine gefährliche Mischung aus Journalismus und Werbung!

Eben nicht. Wenn ein Medienunternehmen nicht mehr klar trennt zwischen Publizistik und Kommerziellem, macht es einen Fehler. Wir achten in allen Ländern darauf, dass für den Leser jederzeit erkennbar ist, ob es sich um eine kommerzielle oder eine journalistische Botschaft handelt. Es darf hier nie zu einer Verunsicherung des Users kommen, denn die Medien haben die tiefste Glaubwürdigkeit aller Zeiten. Die Menschen vertrauen heute Suchmaschinen mehr als Medienanbietern. Je jünger sie sind, umso mehr. Alles, was Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, ist fatal.

Erweitern wir die Perspektive: Ringier wurde zu einer Holding mit 97 Beteiligungen in 19 Ländern, die 150 Publikationen und 200 digitale Plattformen im Portfolio hat. Haben Sie keine Angst, sich zu verzetteln?

Die Komplexität von Ringier ist gross. Wir sind in verschiedenen Industrien – Journalismus, E-Commerce, Online-Rubriken, Sportvermarktung, Ticketing, Radio – tätig. Wir müssen gut darauf achten, dass das Management die Kompetenz hat, dieses Portfolio zu handhaben.

Das ist anspruchsvoll.

Ja, aber die innovativen Medienunternehmen haben genau diesen Weg eingeschlagen.

Die Online-Rubriken sind der erfolgreichste Teil des Ringier-Geschäfts . . .

Das ist heute der wichtigste Treiber unseres operativen Gewinns. Wir sind in Europa bereits auf Platz 6 der grössten Online-Rubriken-Unternehmen.

Warum beschränken Sie sich nicht auf diesen lukrativen Bereich? Warum sind Sie auch im E-Commerce tätig? Diese Geschäfte laufen ja nicht so gut.

Wir haben hier etwa 100 Millionen investiert, den Hauptteil in der Schweiz. E-Commerce ist ein hoch kompetitives Geschäft, auch ein komplexes hinsichtlich der Technik, Logistik, Beschaffung, Preisbildung und Auslieferung.

Hier läuft ein Verdrängungswettbewerb.

Ja, aber wir sind mit «Dein Deal» heute unter den zehn grössten E-Commerce-Firmen in der Schweiz. Das ist schon einmal ein Erfolg.

Ihre digitalen Geschäfte erweisen sich in der Gesamtheit als Erfolg, aber die Investitionen haben Sie noch nicht erwirtschaftet. Haben Sie keine schlaflosen Nächte?

Nein. Aber wir sind auf der Hut. Bei den ersten unserer grossen Akquisitionen werden wir Pay-back in den nächsten Jahren erreicht haben. Wir schlafen wenig – aber gut.